Der Schwund
Tatjana Kruse
Insel Verlag
Taschenbuch
Überall in Deutschland tauchen Leichen auf, die nicht einfach nur tot sind, sondern in Plastik eingeschweißt, nach dem Tod neu frisiert oder in Einzelteilen als Pakete verschickt wurden. Das alles erinnert an die perfiden Morde berüchtigter Serienkiller, die nie gefasst wurden, inzwischen allerdings Greise sind und wohl kaum noch mal zugeschlagen haben. Als dann zusätzlich Drogen ins Spiel kommen und ein Bandenkrieg droht, verlangt die Staatsanwaltschaft von der SoKo Resultate.
Die Leiter der SoKo, drei Männer und eine Frau, nicht gerade die hellsten, folgen der Spur der Morde von Berlin bis in die Alpen. Wohin auch immer das Team kommt, gibt es »Schwund«, sowohl an Zeugen als auch an Verdächtigen. Und an Leuten, die mit allem gar nichts zu tun haben.
In einer abgelegenen Berghütte kommt es zum filmreifen Showdown. Bei dem sich herausstellt: Es war alles ganz, ganz anders!
Hart, fesselnd, schnörkellos, rasant, mit rabenschwarzem Humor – die neue Thrillerkomödie von Tatjana Kruse
© Foto: Haymon Verlag
Tatjana Kruse
Jahrgangsgewächs aus süddeutscher Hanglage, überzeugte Krimiautorin.
Bekannt wurde sie mit ihren Serien rund um die rubeneske Opernsängerin Pauline Miller (Haymon-Verlag), den stickenden Ex-Kommissar Siggi Seifferheld (Knaur/Haymon) und die Schnüffelschwestern Konny und Kriemhild (Insel Verlag). Sie schreibt aber auch "Stand Alones" wie die Thrillmödie Schwund (Insel Verlag) oder die paranormale Krimödie Es gibt ein Sterben nach dem Tod (Haymon Verlag).
Mehr Informationen unter www.tatjanakruse.de
Zwei Fragen der SYNDIKATS-Redaktion an Tatjana Kruse
Was hat Dich von der Krimödie zur Thrillmödie umschwenken lassen?
Ich probiere mich gern immer wieder neu aus. Mich reizten das Tempo eines Thrillers und der hohe Bodycount. Aber keine Angst: Wo Kruse draufsteht, geht es unweigerlich krimikruselig heiter zu.
Was kann man von einem heiteren Thriller erwarten?
Weniger Alpträume, mehr Zwerchfellmuskelkater. Ich wollte aber bei allem Humor durchaus eine spannende Geschichte erzählen, in deren Verlauf es mehrere überraschende Wendungen gibt und die mit einem Ende aufwartet, das selbst Viellesende nicht erraten werden.
Leseprobe
Berlin, verlassenes Fabrikgelände
»Sie können sich Ihren Magnum-Schnauzer aus Erkältungssalbe gleich wieder abwischen, die hier riecht nicht«, rief Doktor Kinzig, die Gerichtsmedizinerin. Bestimmt grinste sie unter ihrem hellgrünen Mundschutz von einem mehrfach gepiercten Öhrchen zum anderen. Sie kannte ihre Pappenheimer. Immerhin rief sie es gut gelaunt. Sie hatte eine Schwäche für Fabian Messner. Alle anderen hätte sie dermaßen pampig angebrüllt, dass die Schutzanzüge geknittert hätten. Nicht ihn.
»Duftneutral? Ehrlich?« Fabian Messner blieb als personifizierter Zweifel in der Tür stehen. Das hier war eigentlich genau das, was er am ersten Tag nach seinem Urlaub nicht brauchte: der Geruch der Verwesung. Ein unverwechselbares Bouquet aus Fäulnis und anderen biochemischen Prozessen, die in ihrer Gesamtheit widerwärtig waren und noch stunden-, manchmal tagelang in der Nase saßen und einem den Genuss am Essen und am Leben vermiesen konnten: Dimethyltrisulfide, Buttersäure, Trimethylamin, Hexanal, Indol und Butanol – was wie die Mischung eines überteuerten Pariser Parfums klang. Es fehlte nur noch Moschus, das getrocknete und pulverisierte Sekret aus den haarigen Hodensäcken des gleichnamigen männlichen Paarhufers.
Deswegen strich er sich, immer bevor er an den Tatort eines Tötungsdelikts oder in die Sezierarena der Gerichtsmedizin ging, eine handelsübliche Mischung aus Kampfer und Eukalyptus unter die Nase. Das trieb ihm zwar die Tränen in die Augen, weswegen ihn altgediente Kollegen anfangs gern die ›Heulsuse‹ nannten, aber es half. Also, ein bisschen. Na gut, wenn man dran glaubte, und das tat er.
Vorsichtig reckte er den Kopf in die Halle wie eine Schildkröte, die aus ihrem Panzer lugt, und holte tief Luft. Die Kinzig hatte recht – es roch nur nach altem, morschem Gemäuer. Allerdings hatte er sofort das Gefühl, ihm würden die Nasenhaare einfrieren. Es war arschkalt. Draußen sowieso, aber hier in der Halle gefühlt noch zehn Grad kälter.
»Pass auf, wo du hintrittst«, riet Sisu, die ihn überholte und auf den Matten – extra ausgelegt, damit keine Spuren verwischt wurden – zur Leiche schritt.
Sisu stand für Die Schöne, was sie auch war –, aber in ihrem Ganzkörperschutzanzug sah sie aus wie alle anderen. Männer, Frauen, Außerirdische. Gleichgeschaltet. Wie Kegel. Mit Ausnahme von Doktor Kinzig, der Gerichtsmedizinerin, die aufgrund ihrer Körperform eher an eine Kugel als an einen Kegel erinnerte. Und sich auch so benahm, will heißen, als Kugel gern mal alle neune niederkegelte. Und auch jetzt rief sie ihrem Team lauthals zu: »Wird das heute noch was? Los schon, schießt die Fotos!«
Das Gummiband seines Schutzanzugs schnitt ihm ins Fleisch, die Hände in den Einmalhandschuhen schwitzten trotz der Kälte. Fabian war zur Mordkommission gegangen, weil ihm die Aura von Abenteuer und Gerechtigkeitsliga gefiel. Aber in ruhigen Momenten gestand er sich hin und wieder ein, dass er nicht aus dem Hartholz geschnitzt war, das für diesen Job notwendig war.
Er dackelte Sisu hinterher. Die Luft stand. Und schien zu schwer zum Atmen. Ein Stück vor ihnen kündigte ein Lichtkreis ihr Ziel an. Unter grellen Flutlichtlampen standen mehrere weißgekleidete Kegel auf einer Insel aus Trittplatten. Einer schoss Fotos von dem, was da auf dem Boden lag.
Die Kugel namens Kinzig drehte sich zu den Neuankömmlingen um. Der sichtbare Teil ihres Gesichts glänzte. Sie trat zur Seite. Und nun sahen sie es.
Etwas Längliches, eng in Plastik eingehüllt, an einen eingerollten Teppich erinnernd. Am oberen Ende war die Plastikplane aufgeschnitten und teilweise abgezogen. Darunter rötliches Fleisch, leere Augenhöhlen, ein menschlicher Kopf.
Skalpiert.
»Willkommen in euren künftigen Alpträumen«, sagte die Rechtsmedizinerin.
Und grinste.